Wind & Tide

Grau in grau ist der noch sehr junge Morgen, irgendwo zwischen Tobago und Hans Lollik Island. Der Horizont trennt nur die Schattierungen; unten Variationen von Bleigrau mit harten Kontrasten, oben das weichere Hellgrau eines diesigen Himmels.

Das zarte Rosa, dann kräftigere Rot im Osten ahnt man zunächst nur, dann überwältigt es die Sinne. Kurz ist dieser wunderbare Moment, wenngleich auch die aufgehende Sonne selbst nach ihrem Erscheinen über der Kimm  ein Ereignis ist, das für den Verlust der Morgenröte entschädigt.

Wir sind auf einem Törn in der Karibik unterwegs und diese Nacht war ausnahmsweise nicht sternenklar.  Mit Nordkurs haben wir die Barracouta Banks passiert, kommen in tiefes Wasser und verlassen damit die geschützten und gut vertrauten Gewässer der Jungferninseln. Rundum kein Land mehr in Sicht. Dieser Moment war für mich immer etwas ganz Besonderes und ist es noch heute. Endlos die Möglichkeiten: 70% der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt.

Im Sir Francis Drake Channel herrschte emsiges Gewiesel; Segelboote, Motoryachten, Kreuzfahrtschiffe. Eine Autobahn zwischen Rastplätzen mit Stromanschluss, Frischwasser und Cable-TV. Hier draussen majestätische Ruhe und bei gemütlichen sechseinhalb Knoten empfindet man Freude an kleinen, sonst unbeachteten Dingen.

Wir beobachten einen Pelikan, der in unserer Nachbarschaft tut, was Pelikane eben tun. Wie ein Pfeil stürzt er sich direkt neben dem Boot ins Wasser und taucht nicht immer, aber oft mit dem begehrten Fisch wieder auf. Satt und zufrieden ruht er sich dann auf unserem Bugkorb aus und wir verlegen die geplante Wende auf später, um ihn nicht zu stören.

Dann begleiten uns Streifendelfine und legen für uns eine Sondervorstellung auf. Könnte man denken. Denn sie sind beinahe mehr über als unter der Wasseroberfläche. Sie freuen sich ihres Lebens und lassen uns daran teilhaben.

Als wir am Nachmittag Anegada in Sicht bekommen, begrüsst uns eine Libelle. Sie sitzt im Windschatten der Sprayhood auf der Steuerbordwinsch, genauer gesagt, auf der Kurbel, die unseemännischerweise dort noch steckt. Mit Pomato Point und Setting Point in Sicht verläßt sie uns wieder, was das Segel bergen wesentlich erleichtert. Offenbar kennt sie sich aus, denn wie wir richtet sie ihren Kurs auf die Ansteuerungstonne. Sie ist vor uns da und ruht sich dort vermutlich wieder aus, aber als wir einlaufen, ist sie dann doch schon verschwunden.

Auf acht Fuß Wassertiefe vor gut haltendem Anker haben wir den kleinen Grill am Heckkorb angeworfen und einen großen Topf Salzwasser aufgesetzt. Unser Erkundungstrupp hatte bei Rückkehr ein paar Lobster im Dinghy. Noch sind sie nicht leuchtend rot, was sich gleich ändern wird.

Während der Smut sich um seine Töpfe kümmert, beobachten wir die tropische Fischwelt. Der große Zeh an der Badeleiter im Wasser reicht, um ganze Schwärme von bunt gezeichneten Fischlein anzulocken. Aber richtig rund gehts, wenn man einige Löffel Erdnußbutter ins Wasser tropfen läßt; Beweisfoto unter „Buenos Dias“ unten links.

Der heutige Abend ist ganz klar. Keine Spur mehr von dem morgendlichen Dunst. Auf achtzehndreiviertel Grad Nord wird es schnell dunkel und ohne das Licht von Großstädten in der Nachbarschaft siehst Du alle, wirklich alle Sterne.

Jemand hat mir vor vielen Jahren ein englisches Taschenbuch geschenkt: „The Long Way“.
„Eines Seglers Freuden“, so schreibt Bernard Moitessier da, „sind simpel wie die eines Kindes“.
Das fällt mir immer ein, wenn ich in See bin.

Von der Faszination des Segelns