Wind & Tide

Schon bei den ersten Fahrten mit der Neuerwerbung stellt sich oft das nagende Gefühl ein, einen Fehler gemacht zu haben: Auch dieses Boot ist wieder einen Meter zu kurz. Warum ist das so und wie groß muß ein gutes Segelboot wirklich sein?
Es ist schon mit sehr kleinen Booten Hervorragendes geleistet worden, bis hin zur Atlantikquerung mit knapp sechs Metern. Andererseits ist ein 20m-Schiff durchaus keine Garantie für ungetrübten Urlaubsspaß.

Auf einer bei Moorings gecharterten Oceanis 40 kam einst die Diskussion mal wieder auf den Punkt und hilfesuchend wandten wir uns an einen wassersportlich unerfahrenen Mitsegler: "Vinot, what do you think, what is the right size boat?" Vinot, ein erfolgreicher Geschäftsmann indischer Abstammung blinzelte in die Karibiksonne, dachte einen Moment nach und sagte dann: "You know the right size boat is - when someone else makes my Martinis". Goldkörnchen indischer Weisheit!

Meine eigenen Boote lagen und liegen zwischen 20 und 30 Fuß, also zwischen sechs und neun Metern. Beim Chartern durften es immer etwa 40 bis 55 Fuß sein, also etwa 12 bis 16 Meter.

Wenn Sie mich heute nach "meiner" Wahrheit fragen, nach der Summe meiner Erfahrungen, dann biete ich Ihnen vier Stufen an:

1. Auf einem See oder Fluß ohne Anschluß an die "große weite Welt" kann man mit Gleitjollen sehr viel Spaß haben. Ein Regenschutz im Bug schafft Möglichkeiten zur trockenen Aufbewahrung von Aurüstung und Kleidung. Wir hatten mal eine Aquila, ein prima Boot. Übernachtungen haben da natürlich einen etwas campingartigen Zuschnitt. Mit Plane über dem Großbaum und Gaskocher mit Kartusche. Erdmann hat eines seiner Bücher über so eine Tour geschrieben. Ich meine, es war ein Zugvogel, den er temporär bewohnt hat.

2. Das Trailerboot: 24 Fuß oder gut sieben Meter sind günstigstenfalls so gerade eben noch trailerbar; wenn Sie drei Tonnen Gesamtgewicht nicht scheuen und sich einen dicken Geländewagen zusätzlich leisten wollen und können. In dieser Klasse zählt jeder Zentimeter und alle Feinheiten der Schiffbaukunst in besonderer Weise. Denn es wird versucht, eigentlich Unvereinbares zu kombinieren:
Hier gute Segeleigenschaften, Stabilität, seetaugliche Einbaumaschine mit Welle oder Saildrive, große Kojen, Stehhöhe, sanitäre Anlagen und ausreichend Stauraum,
dort ein geringes Gesamtgewicht, kleine Aussenabmessungen, niedriger Trailerschwerpunkt und vielleicht auch noch die Fähigkeit zur Wasserung ohne Kran.
Warum tut man sich das an? Weil man berufsbedingt selten mehr als drei Wochen für unser schönes Hobby investieren kann und damit die Reichweite ab Liegeplatz ohne Trailer auf einen Radius von etwa 200 Seemeilen begrenzt ist (überschlägig 1/3 hin, 2/3 zurück, also sieben Tage mal durchschnittlich 30 SM). Mit Trailer kommen Sie zu neuen Ufern. Schauen Sie doch mal bei www.sailart.de nach Lösungen. Zwei von diesen Booten, die 20 und die 24  haben wir probiert und waren sehr angetan.

3. Die dritte Kategorie kombiniert einen festen Liegeplatz mit gelegentlichen Chartertörns. Wer nicht von Beruf reich ist, wird das heimische Boot unter finanziellen Gesichtspunkten auf das Notwendige beschränken, also die oben formulierten Forderungen ohne die trailerbedingten Beschränkungen umsetzen. Da komme ich dann für eine zwei bis vierköpfige Crew auf etwa 30 Fuß oder gut neun Meter. Das ist bei lebhaftem Angebot auf dem Gebrauchtmarkt finanziell eben noch überschaubar und bietet z.T. schon recht viel Komfort auch für mehrwöchige Törns. In dieser Kategorie war unsere Lösung eine Hunter 301. Aber wir lebten damals in den USA und auf dem europäischen Markt gibt es natürlich andere Platzhirsche. Dazu gehören typisch die großen Franzosen Beneteau und Jeanneau, in Deutschland Bavaria und etwas teurer die österreichischen Sunbeams von Schöchl.

4. Wenn Sie nach dem Motto leben "warum denn in die Ferne schweifen" oder wenn Sie an der Küste wohnen und nicht "zwischen jede Welle fallen" wollen, dann brauchen Sie ein ausgewachsenes Schiff. Natürlich muß es Ihrem Budget entsprechen, aber insbesondere sollten Sie es mit der vorgesehenen Crew auch noch mühelos bedienen können. Große Segelflächen von Slups im 50-Fuß Bereich haben da ihre Tücken und Großsegel-Rollanlagen versagen vorzugsweise im entscheidenden Moment, von den aerodramatischen Nachteilen abgesehen. Ich persönlich fühle mich besonders wohl, wenn ich den Dampfer notfalls alleine bändigen kann. Und mal ganz ehrlich: Brauchen Sie fünf Toiletten? Meine persönliche Wahrheit liegt hier bei etwa 36 bis 44 Fuß und oberhalb von 40 Fuß würde ich dann schon langsam nach zwei Masten Ausschau halten. Das verkleinert die Segelflächen, schafft zusätzliche Trimmoptionen und erhöht die Sicherheit, kostet aber i.d.R. auch mehr. Mit 36 oder 38 Fuß kann man recht gut leben und wenn man auf Qualität achtet, auch lange glücklich sein. Wenn Sie nicht unter Geldmangel leiden, würde ich mal einen Blick bei Hallberg-Rassy riskieren. Die 372 wäre meine Kragenweite. Aber in dieser Größe gibt es endlose Auswahl und natürlich auch günstigere Lösungen, die für Ihren speziellen Bedarf besser geeignet sein können.

Eine Mannschaft wollte ich auf meinem Boot nie haben, Martinis mag ich nicht, und ein Gläschen Rotwein trinke ich am liebsten mit Weib und Kindern.

Wenn Sie mit Ihrer Wahl nicht glücklich sind, verschwenden Sie nicht kostbare Jahre. Verkaufen Sie und bringen Sie die gewonnenen Erfahrungen in die Suche nach einem besseren Boot ein. Die Trefferrate wächst mit der Erfahrung.

Hennings kleine Kaufberatung für Einsteiger